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Bericht über die gewaltsame Entführung der Frau Kammerherrin von Hendrich aus dem Schloss zu Oberpöllnitz.
Niedergeschrieben von Herrn I. J. Schäfer, Hofmeister der Frau Sophia Christiana v. Hendrich.

"Es war ungefähr 7.00 Uhr morgens, am 1. Mai 1794, als plötzlich auf dem Hof des Rittergutes zu Oberpöllnitz eine Kommission von Weimar erschien, begleitet von 15-17 fürchterlich bewaffneten Bauern und etwa 6-7 leeren Wagen. Ein gewisser Herr Schulze stürmte unter dem Prädikate eines Amtmannes mit seinem Gefolge ins herrschaftliche Haus. Es wird ihm nach wiederholtem Anklopfen geöffnet. Sie stürmen durch unsere Zimmer in das Schlafgemach der Frau Kammerherrin von Hendrich, die eben im Begriff ist, das Bett zu verlassen. Man kündet ihr an, sie mit ihren 5 Kindern auf Befehl des Herrn Gemahls nach Weimar abzuholen. Sie äußert ihr befremden über diesen gewaltsamen Einbruch und über diese eigene Zumutung und erklärt sich gegen den Amtmann, dass sie in keinem Falle willens sei Oberpöllnitz zu verlassen. Sie weiß gewiss, dass noch keine Bestätigung des Verkaufs von Oberpöllnitz von Weimar angelangt sein könne, da sie dagegen appelliert und protestiert habe. Der Amtmann beruft sich auf den erhaltenen Befehl und besteht darauf, dass die Frau von Hendrich sich in seinem Willen füge und ungesäumt Oberpöllnitz räume. Sie verlangt eine schriftliche Instruktion und Vollmacht zu sehen. Diese wird vorgezeigt, aber von besagter Dame für weiter nichts gehalten als für eine Notifikation, dass Oberpöllnitz an den königlich-preußischen Kammerherrn Reichsfreiherrn Karl Alexander v. Kospoth verkauft sei und den 1. Mai übergeben werden solle. Diese Notifikation, die ich auf Befehl der Frau Kammerherrin in ihrer Gegenwart verlesen musste, war von Herrn Kammerherr von Hendrich unterschrieben.
Auf der 2. Hälfte desselben Bogens stand ein Aufsatz von der Hand des Herrn Gabler, Gerichtsherr von Oschütz, nebst dem Siegel des von Kospothschen Gerichts daselbst. Beide Aufsätze habe ich in der Verwirrung nicht mit Aufmerksamkeit lesen können. Denn während ich las, sank die Frau von Hendrich, die vom Amtmann und seinen Beiständen aufs Äußerste kompromittiert wurde, in Ohnmacht und war in Gefahr, vom Schlag getroffen zu werden. Die drei Fräulein (Töchter) stürzten sich weinend über ihre unglückliche Mutter, umfassten ihre Knie und versuchten sie durch ihr Angstgeschrei wieder ins Leben zurückzurufen. Nach einigen Minuten erholte sie sich und bat mich, ihr etwas Stärkung zu verschaffen. Ich eilte fort, war aber nicht im Stande durch die Schar der Bauern zu dringen, die mich mit aufgehobenen und gegen das Gesicht gewandten Äxten, Beilen, dicken Prügeln usw. aufhielten. Eben das geschah auch als ich den Herrn Prediger rufen wollte, den die Kammerherrin zu sprechen wünschte. Darauf verlangte sie in die Garderobe gehen zu dürfen, um sich anzukleiden. Das wird ihr abgeschlagen. Sie wollte allein an einen Ort, den ich nicht nenne. Der Amtmann befahl seinen Bauern, sie dahin zu verfolgen. Ich stellte ihn darüber zur Rede und fragte ihn ob er Bange, dass die Frau Kammerherrin durch heimliche Schlupfwinkel sich seinen Händen entziehen könnte. Ich bot mich an während ihrer kurzen Entfernung, mit den Kindern als Geisel zu dienen und riet, zur überflüssigen Vorsicht, alle Türen zu besetzen. Es wurde nicht gestattet.
Hierauf schlug der Amtmann der Frau Kammerrat vor, sich gutwillig zur Abreise von Oberpöllnitz zu bemühen. Als sie sich weigerte, fassten Bediente und Bauern zu. Die schon ganz entkräftete Dame fiel von Neuem in Ohnmacht und ohne Bewusstsein zur Erde nieder. Die Kinder über sie her, mehr tot als lebendig. Ich bat, da ich zu schwach war sie zu stützen, den Amtmann aufs Dringendste, die unglückliche, halb tote Dame zu schonen. Ich appellierte an sein Gewissen, an sein menschliches Gefühl, an seine Begriffe von Anstand und Schamhaftigkeit. Umsonst! Er ließ, weil er vermutlich Aufruhr in Verzug befürchtete, die Frau von Hendrich in ihrem bewusstlosen Zustand durch Bediente und Bauern oder wie es ziemlich allgemein heißt, durch Gerichtsdiener, forttragen. Zwei von den Leuten fassten sie an dem Kopf und zwei an den Füßen und schleppten sie, neben der ältesten Tochter, die ohne Besinnung auf der Erde hingestreckt lag, aus der Stube über den Saal, die Treppe herab, durch den Hausflur bis auf die Bänke, wo sie wieder zu sich kam. Sie konnte den Schmerz, den ihr das heftige Anpacken der Bauern usw. verursachte, nicht mehr ertragen und wünschte zu gehen und wird bis zum Wagen geführt. Und da sie sich weigerte, sogleich hineinzusteigen, wird sie mit aller Gewalt hineingeworfen. Sie gab mir den Auftrag, ihre Papiere zu retten. Ich wurde daran aber von dem Bedienten ihres Gemahls, Müller genannt, gehindert und durfte nichts anrühren.
So saß nun die unglückliche Frau mit ihren Kindern im Wagen, beinahe ohne Bewusstsein, leichenblass, abgemattet, ganz nüchtern und voll der schrecklichsten Besorgnisse. Kaum konnte man Mutter und Töchter etwas zur Bedeckung bringen, als der Amtmann dem Kutscher befahl, fortzufahren und so sehr als möglich zu eilen. Zwei Bauern mussten auf dem Kutschbock zur Aufsicht mitfahren und mehrere Bauern dem Wagen folgen, was sie auch unter dem unanständigsten Freudengeschrei taten. Alles befürchtete von dieser Misshandlung die traurigsten Folgen für die Gesundheit der Mutter und Kinder. Das war auch aus dem Grunde zu befürchten, weil die Familie in dem offenen Wagen anfangs der Kühle der Morgenluft und dann der schrecklichen Sonnenhitze ausgesetzt war. Dazu kam, dass sich das zweite Fräulein seit einiger Zeit nicht wohlfand. Der Kutscher hat Befehl gehabt, keinen geraden Weg zu fahren. Sondern im Zickzack zu fahren, um auf diese Art am sichersten allen eventuellen Gegenanstalten zur Rettung der Familie zu entgehen. Sobald der Wagen den Hof verlassen hatte, wird der Gemahl der Frau von Hendrich benachrichtigt. Er hatte sich während des Vorgangs in der Nachbarschaft von Oberpöllnitz mit dem Reichsfreiherrn von Kospoth aufgehalten und wurde nun von allem benachrichtigt. Der Jäger des Kospoth stößt ins Horn und auf dieses Zeichen hin kommt der Reichsfreiherr von Kospoth mit seinem Gefolge auf den Hof und ins Haus.
Ich bekam darauf vom Amtmann auf eine sehr indiskrete Art Vorwürfe wegen meines Betragens bei dem Vorfall. Ich glaubte aber es nicht entschuldigen zu dürfen, weil ich in meiner Lage nicht anders handeln konnte und es für meine Pflicht hielt, der unglücklichen Familie, der sich kein Mensch annahm, somit beizustehen, wie es mir meine Situation und meine schwachen Kräfte erlaubten. Nun wurde mir von ebendemselben Amtmann Schulze aus Weimar im Thüringischen, anbefohlen, meine Sachen zusammenzupacken und fortzuschaffen, und mich nach Verlauf einer Stunde unfehlbar zu retivieren (entschuldigen), um seinen gewählten Ausdruck beizubehalten. Ich zeigte über diese Zumutung mein Befremden und gab dem Herrn zu verstehen, dass ich mich nicht übereilen würde, solange ich einigermaßen glaubte, unter ehrlichen Leuten zu sein. Ehe ich das Haus verließ, kam ich in Gefahr, von dem Gärtner der alten Herrschaft misshandelt zu werden. Ich sah, dass dieser Mensch eigenmächtig den Keller seiner Herrschaft aufschloss und Wein holte, um die fremden Bedienten damit zu regalieren (beeinflussen). Darüber machte ich ihm Vorwürfe, weshalb er mir grob begegnete. Da ich ihn deswegen zur Verantwortung zu ziehen drohte, legte er Hand an mich und zerriss mir einige von meinen Kleidungsstücken. Ich konnte, außer dass ich mich loszumachen versuchte, es nicht für ratsam finden mit einem besoffenen, groben und überdem schwachköpfigen Menschen mich in eine Schlägerei einzulassen.
Nach meiner Entfernung vom Schloss wurden auf Befehl des schon einmal genannten Amtmannes Anstalten gemacht, die Möbel der Frau Kammerherrin zusammenzupacken und auf die mitgebrachten Wagen fortzuschaffen. Das ist dann auch in ziemlicher Unordnung und nicht ohne einiges Ungestüm geschehen. Der Amtmann war das Faktotum im Hause (Ansteller). Er dirigierte alles, teilte jedoch mehrere Geschäfte mit den Bedienten des Kammerherrn von Hendrich, aber bloß auf Befehl des Letzteren. Oder auch, wie es in hiesiger Gegend üblich war, mit Genehmigung der herzoglichen Regierung. Ob er mit herzoglicher Genehmigung auf die beschriebene Art verfahren durfte, weis ich nicht. Auch nicht, ob er als weimarischer Kommissar, auf kursächsischem Territorium so verfahren kann. Soviel man jetzt weiß, hatten die Bauern und Konsorten mit ihren Wagen die Nacht vom 30.04. zum 01.05.1794 in dem benachbarten Dorf Renthendorf und in den daran angrenzenden Wäldern zugebracht. Durch abgeschickte Spione hatten sie sich von der ganzen Lage der Sache in Oberpöllnitz berichten lassen. Die Bauern, die beinahe alle sehr verdächtiges Aussehen hatten, sind wie berichtet, Arbeiter auf der Chaussee zwischen Jena u. Weimar. Sie haben sich von Herrn von Hendrich, als dem Inspektor des Chausseebaues, zu der gewaltsamen Invasion dingen lassen."

Zwei Nachträge von W. Sch.:
Franz Ludwig v. Hendrich
(1754-1828) wird 1778 auf Ober- u. Mittelpöllnitz nebst Zugehörungen genannt. Er war Kammerherr u. Landkammerrat in Weimar, später Stadtkommandant zu Jena. 1789 verpachtete er den Besitz an den königlich-preußischen Kammerherrn Reichsfreiherrn Karl Alexander v. Kospoth und 1793 verkaufte er an diesen Herrn. Ehefrau Sophia Christiana v. Hendrich, geb. v. Poseck war mit diesem Geschäft nicht einverstanden. Da auch kein Geld eintraf, zog sie mit ihren 5 Kindern nicht aus dem Schloss aus. Deshalb dann dieser ungeheuerliche Vorgang. Diese Episode endete nicht nur mit der Scheidung, sondern auch nach einem Urteil wegen Landfriedensbruchs mit zwei Jahren Zuchthausstrafe, die das kursächsische Geheime Kabinett in eine Gefängnisstrafe umwandelte. Mit dem 1796 gefällten Urteil legte Hendrich seine Ämter in Weimar nieder. Die Familie von Hendrich pflegte freundschaftliche Kontakte mit Johann Wolfgang v. Goethe. Die Kinder waren: Carl Ludwig (1776); Ludwig Ferdinand (1778); Natalia Carolina (1779); Louise Charlotta Rosalia (1781); Louise Charlotta Wilhelmina (1783).

Zur Person des Karl Alexander v. Kospoth:
Alte, im Reußischen liegende Frankendorfer Stammlinie, geb. am 27.04.1769 in Mühltroff, Sterbedatum unbekannt, in Russland verschollen. Der Vater war Karl Erdmann v. Kospoth (1718-1779), die Mutter Ottonie Eleonore Freiin v. Bodenhausen, sein ältester Bruder war der hochtalentierte Komponist Graf Otto Karl Erdmann v. Kospoth (1753-1817 jeweils Mühltroff). Karl Alexander studierte von 1785 bis 1788 Jura in Göttingen, galt als Tunichtgut und Schuldenmacher und heiratete 1788 die 13 Jahre alte Johanne Henriette Eleonore v. Uslar, Tochter des Tilo Lebrecht v. Uslar auf Altengleichen. Diese Ehe wurde sehr bald geschieden und die Frau heiratete 1795 in 2. Ehe den Reichsgrafen F.A.B. v. Hardenberg. Sie starb 1797 im Kindbett. Karl Alexander v. Kospoth war königlich-preußischer Kammerherr und Erb-, Lehn- u. Gerichtsherr auf Oschitz b. Schleiz, RG unteren u. oberen Teils. Am 14.06.1797 heiratete er in 2. Ehe in der Kirche von Oberpöllnitz Frau Friedericke Louise Hirsch aus Dessau, eine Jüdin, die als Rahel Hirsch am 19.12.1796 in Oberpöllnitz in aller Stille zum christlichen Glauben konvertierte. Sie war die Tochter des Hofjuden Benjamin Hirsch zu Dessau. Am 25.12.1797 wurde in Oberpöllnitz gegen Abend 3/4 vor 6 Uhr das 1. Kind geboren, Tochter Caroline Louise Eleonore v. Kospoth, deren heilige Taufe am 28.12.1797 erfolgte.

Obigen Artikel des Hofmeisters habe ich aus der alten Kurrentschrift in die heutige Schriftform übertragen und in etwas modernisierter Sprache wiedergegeben.

Wolfgang Schuster, Triptis/Oberpöllnitz 2/2008 - akt. 6/2017